Wann verfällt Urlaub? – Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers
Das Bundesarbeitsgericht hatte sich in einer aktuellen Entscheidung vom 19.02.2019, Az. 9 AZR 423/16, mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers unter unionsrechtskonformer Auslegung der Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes auf der Grundlage des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG vom 04.11.2003 und Art. 31 II der Charta der Grundrechte der Europäischen Union aus dem formalen Grund verfallen kann, dass der Arbeitnehmer im laufenden Kalenderjahr keinen Antrag auf bezahlten Urlaub gestellt hat.
Eine Grundlage für das Urteil bildet die Entscheidung des EuGH vom 06.11.2018, Az. C-684/16.
Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes
Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ist nach den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes grundsätzlich auf das Kalenderjahr als Urlaubsjahr bezogen ausgestaltet (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG). § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG sieht vor, dass der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss. Eine Übertragung des Urlaubs auf die ersten drei Monate des nächsten Kalenderjahres ist nach § 7 Abs. 3 S. 2 u. S. 3 BUrlG nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Liegen solche Gründe nicht vor, verfällt der Urlaub zum Ende eines Kalenderjahres. Nur, wenn der Urlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann, besteht gem. § 7 Abs. 4 BUrlG ein Anspruch auf Abgeltung des Urlaubsanspruchs, also eine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub.
Richtlinienkonforme Auslegung der Bestimmungen
Das BAG entschied auf der Grundlage einer unionskonformen Auslegung der Normen nunmehr, dass ein Verfall des Urlaubsanspruchs nach Ablauf des Kalenderjahres bzw. nach Ablauf eines zulässigen Übertragungszeitraums darüber hinaus maßgeblich davon abhänge, ob der Arbeitgeber seinerseits seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist. Ein fehlender Antrag des Arbeitnehmers könne demnach nur unter bestimmten Voraussetzungen zu einem Verfall des Urlaubsanspruchs führen.
Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber kann sich nach der vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung auf den fehlenden Urlaubsantrag des Arbeitnehmers deshalb nur dann berufen, wenn er zuvor konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge getragen hat, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage war, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen wird. Der Arbeitgeber trägt dabei die Beweislast für die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten.
Konsequenzen erbrachter oder nicht erbrachter Mitwirkungsobliegenheiten
Erbringt der Arbeitgeber den ihm insoweit obliegenden Nachweis und zeigt sich daher, dass der Arbeitnehmer seinen bezahlten Jahresurlaub aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Konsequenzen nicht genommen hat, stehen Art. 7 der RL 2003/88/EG und Art. 31 II GrCh dem Verlust des Urlaubsanspruchs und – bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – dem Wegfall der finanziellen Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub nicht entgegen.
Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer dazu zu zwingen, diesen Anspruch tatsächlich wahrzunehmen, besteht nicht.
Hat der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten jedoch nicht entsprochen, tritt der am 31.12. des Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 01.01. des Folgejahres entsteht. Dieser Teil des Urlaubsanspruchs ist gegenüber dem Teil, den der Arbeitnehmer zu Beginn des aktuellen Urlaubsjahres erworben hat, nicht privilegiert. Für ihn gelten, wie für den neu entstandenen Urlaubsanspruch, die Regelungen des § 7 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 BUrlG.
Praxistipp - Was haben Arbeitgeber in der Konsequenz nun zu beachten?
Um ihre Mitwirkungsobliegenheiten zu erfüllen, müssen Arbeitgeber in völliger Transparenz dafür Sorge tragen, dass Arbeitnehmer dazu in der Lage sind, ihren bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Dabei muss ein unmittelbarer Bezug zu einem konkret bezeichneten Urlaubsanspruch eines bestimmten Jahres bestehen.
Dies kann beispielsweise dadurch erfüllt werden, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zu Beginn des Kalenderjahres - zu Beweiszwecken in Textform - mitteilt, wie viele Arbeitstage Urlaub dem Arbeitnehmer im Kalenderjahr zustehen, ihn auffordert, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres genommen werden kann, und ihn über die Konsequenzen belehrt, die eintreten, wenn dieser den Urlaub nicht entsprechend der Aufforderung beantragt.
Die Anforderungen an eine „klare“ Unterrichtung sind regelmäßig durch den Hinweis erfüllt, dass der Urlaub grundsätzlich am Ende des Kalenderjahres verfällt, wenn der Arbeitnehmer in der Lage war, seinen Urlaub im Kalenderjahr zu nehmen, er ihn aber nicht beantragt.
Nimmt der Arbeitnehmer in diesem Fall seinen bezahlten Jahresurlaub nicht in Anspruch, obwohl er hierzu in der Lage war, geschieht dies aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich darauf ergebenden Konsequenzen.
Abstrakte Angaben etwa im Arbeitsvertrag, in einem Merkblatt oder in einer Kollektivvereinbarung werden den Anforderungen einer konkreten und transparenten Unterrichtung hingegen in der Regel nicht genügen. Letztlich sind die Umstände des Einzelfalls entscheidend.
Sollte dennoch der Fall eintreten, dass ein Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers mangels erfüllter Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers in das nächste Jahr übertragen wird, so kann der Arbeitgeber das uneingeschränkte Kumulieren von Urlaubsansprüchen dadurch vermeiden, dass er seine Mitwirkungsobliegenheiten für den Urlaub aus zurückliegenden Urlaubsjahren im aktuellen Urlaubsjahr nachholt und den Arbeitnehmer über seinen bestehenden Urlaubsanspruch unter Hinweis auf den Verfall nach Ablauf des Urlaubsjahres informiert.
Nimmt der Arbeitgeber in einem solchen Fall den kumulierten Urlaubsanspruch im laufenden Urlaubsjahr nicht wahr, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, verfällt der Urlaub am Ende des Kalenderjahres bzw. eines zulässigen Übertragungszeitraums.
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