Die Sterbebegleitung ist seit Jahren ein kontroverses Thema in Deutschland.
Grundsätzlich ist sie aber verboten – oder etwa doch nicht?
Nach langen Diskussionen in Literatur und Rechtsprechung erließ der Bundesgerichtshof mit dem Urteil vom 03.07.2019 eine Grundsatzentscheidung zur Sterbebegleitung und klärte den Streit – zumindest für’s Nächste.
Sachverhalt
Die Frauen W und M erließen schon im Jahr 2010 Patientenverfügungen und setzten sich jahrelang mit dem Thema Suizid und Sterbebegleitung auseinander. 2012 wollten sie gemeinsam aus dem Leben scheiden und nahmen dafür Kontakt zum Verein S auf, bei dem sie eine schmerzfreie und begleitete Sterbehilfe in Anspruch nehmen konnten.
In Verbindung mit ihrem Vorhaben verwies man die Frauen an den Angeklagten, um ein neurologisches und psychiatrisches Gutachten über die Urteils- sowie Einsichtsfähigkeit dieser zu erstellen. Der Angeklagte ist approbierter Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und erstellte seit dem Jahr 2003 ausschließlich solche Gutachten.
Bei einem persönlichen Treffen stand die Entscheidung der Frauen, sich das Leben zu nehmen bereits sicher fest. Trotz der Besprechung verschiedener möglicher Alternativen, angesprochen durch den Angeklagten, brachten sie mehrfach deutlich zum Ausdruck, dass sie fest zur Selbsttötung entschlossen seien und sich dies auch gut überlegt hätten. Daran hatte der Angeklagte anschließend auch keine Zweifel. Das erstellte Gutachten attestierte aus psychiatrischer Sicht eine uneingeschränkte Einsichts- und Urteilsfähigkeit und kam zu dem Ergebnis, dass aus ärztlich-psychiatrischer Sicht nichts gegen den Sterbebeihilfewunsch einzuwenden sei. Durch verschiedene Schriftstücke untersagten die Frauen jegliche Rettungsmaßnahmen.
Am Tag des Suizids, fragte der Angeklagte die Frauen nochmals, ob sie sicher seien, die Selbsttötung durchführen zu wollen. Nachdem beide dies bejahten, nahmen sie die Lösung der tötenden Medikamente selbständig ein. Im Zeitpunkt des Bewusstseinsverlustes der Frauen bestand eine geringe Chance, das Leben dieser, höchstwahrscheinlich mit schweren Hirnschäden, zu retten. Dies war dem Angeklagten bewusst. Dementsprechend rief der Angeklagte weder Notarzt, noch unternahm er sonstige Rettungsmaßnahmen, um dem Willen der Frauen zu entsprechen.
Das Landgericht Hamburg hat den Angeklagten vom Anklagevorwurf freigesprochen. Ihm war vorgeworfen worden, den Frauen für deren Suizid die Medikamente Chloroquin und Diazepam mitgebracht zu haben, nach Eintritt der Bewusstlosigkeit beider Frauen jegliche Rettungsmaßnahmen unterlassen und sich hierdurch wegen versuchter Tötung auf Verlangen durch Unterlassen sowie wegen Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch strafbar gemacht zu haben.
Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Angeklagte den Frauen die Medikamente beschaffte. Vielmehr war davon auszugehen, dass sie diese durch den Verein bekamen. Beide Frauen haben die alleinige Tatherrschaft über das Herbeiführen ihres Todes gehabt.
Eine Strafbarkeit wegen versuchter Tötung auf Verlangen durch Unterlassen liegt nicht vor, da unabhängig von einer Garantenstellung des Angeklagten, durch die Freiverantwortlichkeit des Suizids keine Pflicht zur Abwendung des Todes bestand.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet und der Freispruch des Angeklagten hält rechtlicher Prüfung stand.
Der Angeklagte hat sich nicht wegen eines vollendeten Tötungsdelikts durch aktives Tun strafbar gemacht. Vielmehr stellt sich sein Handeln als straflose Beihilfe zum eigenverantwortlichen Suizid dar.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es darauf an, wer das zum Tode führende Geschehen zuletzt beherrscht.
Liegt das Leben des Sterbenden in den Händen eines Dritten und nimmt dieser den Tod duldend von ihm entgegen, so hat der Dritte die Tatherrschaft über das Geschehen.
Nimmt der Sterbewillige die zum Tod führende Handlung jedoch selbst in die Hand, tötet er sich also selbst, wenn auch mit fremder Hilfe, so hat er selbst die Tatherrschaft.
Letzteres ist vorliegend der Fall. Zwar hat der Angeklagte das Gutachten erstellt, mit dessen Hilfe die beiden Frauen vom Verein die tödlichen Medikamente erhielten. Jedoch führten die Frauen die Handlung, die zum Tod führte, eigenständig aus und beherrschten somit das Geschehen.
Auch ist das Vorliegen der Grundsätze der mittelbaren Täterschaft zu verneinen.
Dafür müssten die Frauen unfrei gehandelt haben. Ein Begehen der Tat durch Benutzung des Suizidenten als „Werkzeug“ gegen sich selbst setzt voraus, dass dieser seinen Selbsttötungsentschluss aufgrund eines Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits (Defekts) nicht freiverantwortlich gebildet hat.
Freiverantwortlich hingegen ist ein Selbsttötungsentschluss, wenn das Opfer die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für seine Entscheidung hat und Mangelfreiheit als auch innere Festigkeit des Entschlusses gegeben sind.
Die Freiverantwortlichkeit kann insbesondere durch Minderjährigkeit oder krankheits-sowie intoxikationsbedingte Defizite ausgeschlossen werden. Auch Zwang, Drohung und Täuschung führen zur Mangelhaftigkeit des Selbsttötungswillens. Gleiches gilt, wenn der Wunsch der Selbsttötung in bloß depressiver Augenblicksstimmung besteht, somit nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen ist.
Dies konnte im vorliegenden Fall ausgeschlossen werden. Die beiden Frauen handelten freiverantwortlich.
Auch ist richtigerweise eine Strafbarkeit wegen vollendeter Tötung durch Unterlassen ausgeschlossen. Das Unterlassen von Rettungshandlungen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Frauen durch den Angeklagten war für den Tod nicht kausal.
Ursächlichkeit liegt bei einem Unterlassungsdelikt vor, wenn bei Vornahme der pflichtgemäßen Handlung der tatbestandliche Schadenserfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre. Vorliegend ist nicht klar gewesen, ob das Leben der Frauen überhaupt zu retten gewesen wäre.
Eine Strafbarkeit wegen versuchter Tötung durch Unterlassen ist ebenso auszuschließen, weil den Angeklagten keine Garantenstellung traf und dies auch seiner Vorstellung entsprach.
Um eine solche Strafbarkeit bejahen zu können, müsste der Täter als „Garant“ zur Abwendung des tatbestandlichen Erfolgs verpflichtet sein. Eine solche Stellung kann sich aus Rechtsnormen, besonderen Vertrauensverhältnissen oder vorangegangenem gefährlichen Tun (Ingerenz) ergeben. Aus all den Entstehungsgründen resultiert eine Obhuts- und Überwachungspflicht.
Vorliegend war der Angeklagte jedoch nicht für das Leben der beiden Frauen verantwortlich. Es bestand kein Arzt-Patienten-Verhältnis. Es war allein vereinbart, dass der Angeklagte die Frauen bei ihrem Sterben begleitet, eine Beschützergarantenstellung oblag ihm nicht.
Es könnte anzudenken sein, dass ein Pflichtwidrigkeitsurteil durch den am 10.12.2005 eingeführten § 217 StGB abgeleitet werden kann. Der Gesetzgeber hat damit zum Ausdruck gebracht, dass er das geschäftsmäßige Verschaffen der Gelegenheit zur Selbsttötung, wie es der Angeklagte durch seine Erstellung der vorausgesetzten Gutachten erbracht hat, als strafwürdig und damit auch als pflichtwidrig erachtet. Diese Norm kann jedoch nicht die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens des Angeklagten begründen, da zur Tatzeit die Norm des § 217 StGB noch nicht bestand, Art. 103 II GG, §§ 1, 2 StGB.
Auch die aktiven Beiträge des Angeklagten, wie das Beraten und das Zerkleinern der todbringenden Tabletten, erfüllen nicht die Voraussetzungen eines pflichtwidrigen Vorverhaltens. Die Frauen waren schon vor der beratenden Tätigkeit durch den Angeklagten fest zum Selbstmord entschlossen. Es erscheint zweifelhaft, ob das Vorverhalten des Angeklagten die Gefahr des Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolgs überhaupt begründete oder erhöhte.
Folglich wird eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung zu Recht ausgeschlossen.
Offen bleibt die Frage, ob ein Suizid einen Unglücksfall im Sinne des § 323c I StGB darstellt.
Die mit einem Suizid verbundene Zerstörung des grundrechtlich geschützten Rechtsguts Leben, stellt bei natürlicher Betrachtung einen Unglücksfall im Rechtssinn dar. Die aus dem Selbstbestimmungsrecht fließende Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Suizidenten schließt das der Vorschrift des § 323c StGB zugrundeliegende Erfordernis menschlicher Solidarität nicht aus, sodass die Annahme eines Suizids als Unglücksfall auch keinen Widerspruch zur Straflosigkeit des Teilnehmers einer Selbsttötung darstellt. Dem Angeklagten war nicht zuzumuten, nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Frauen noch Rettungsmaßnahmen zu treffen. § 323c StGB ist folglich nicht erfüllt.
Bei weiteren Fragen bezüglich der Sterbehilfe oder zum Strafrecht allgemein steht Ihnen
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Rechtsanwalt René Litschner
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